«Kirchenbindung positiv plausibilisieren»

An ihrer zweiten Tagung «Kirche in Bewegung» hat die Berner Landeskirche Grenzgänge thematisiert. Zur Frage, was zu pflegen und was zu verabschieden sei, sprachen Fachleute aus Deutschland und Österreich. Um dem Schrumpfen zu wehren, ist eine integrierte Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders wichtig.


Der erste Referent Gerald Kretzschmar ging von der langfristischen Perspektive aus: Nach der Freiburger Studie von 2019 dürfte die Zahl der Protestanten in Deutschland bis 2060 auf die Häfte (zehn Millionen) sinken – auch, aber nicht nur wegen anhaltend massenhafter Austritte. Was tun? Als erstes regte der Tübinger Professor an, dass die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen integral gestaltet wird, nicht auf verschiedene Bereiche aufgeteilt ist, auf verschiedenen Säulen steht.

Mit der Kirchenmitgliedschaft sei ein hochschwelliges Kirchenbindungsmodell verknüpft; dieses sei für immer weniger Menschen praktikabel, äusserte Gerald Kretzschmar. Daher sollte die Kirchenbindung als Leitkategorie für Überlegungen zur Kirchenreform in den Vordergrund treten – ohne Kirchenbindung und Kirchenmitgliedschaft gegeneinander auszuspielen.

Persönlich relevant werden
An der refbejuso-Tagung, die am 17. und 18. September in Wabern mit gegen 100 Besuchern stattfand, sagte Kretzschmar, Kasualien und Feiern sollten auch Nichtmitgliedern angeboten, die «paralysierende Fixierung» auf den Sonntagsgottesdienst überwunden werden. Zudem regte der Professor kirchliche Partikularmitgliedschaften an. Politisch sei die Option einer allgemeinen Kultursteuer etwa nach italienischem Vorbild bedenkenswert.

«Nur wenn Menschen dem, was die Kirche sagt und tut, eine persönliche Relevanz beimessen können, kann die Botschaft, für die die Kirche steht, im Leben der Menschen ankommen. Nur dann geschieht Kirche», sagte Kretzschmar in der Heiteren Fahne in Wabern.

«Wo Menschen im Kontakt mit der Kirche spüren, dass sie mit ihren Bedürfnissen und ihren je eigenen Formen der Kirchenbindung wahr- und ernstgenommen werden, da existiert die Kirche als Gemeinschaft der Persönlichkeiten und damit als Raum, für den jede und jeder eine Antwort darauf geben kann, wie er oder sie das Evangelium der befreienden Liebe Gottes in der Kircheganz konkret erlebt.»

Das landeskirchliche Netzwerk Joint Future Kirchgemeinden und Migration informierte über aktuelle Herausforderungen.

Kasualien anders sehen
Dr. Emilia Handke aus Hamburg nahm die Frage Jesu «Was willst du, dass ich dir tun soll?» zum Ausgangspunkt, um über einen Perspektivwechsels auf dem Feld der Kasualien nachzudenken. Mit Kasualien werde darüber entschieden, «ob wir Kirche im Monolog oder im Dialog sind».

In Hamburg ist die Mehrheit der evangelisch geborenen Kinder mit 14 Jahren nicht getauft. Es sei «alles andere als einfach, einen goldenen Satz für die Taufe zu finden», den säkulare Menschen verstehen, sagte Handke.

Für ein zielgruppengerechte Ansprechen der Eltern wurde in Hamburg eine Kasual- und Ritualagentur gegründet. Zu Kasualformaten und -paketen solle gezielt eingeladen werden, meinte Handke. Kasualorte – Flughafen, Bars etc. – seien zu bewerben.

Gott bei den Menschen entdecken
Prof. Christian Bauer und Lukas Moser aus Innsbruck boten eine Typologie der Grenzüberschreitung. Bauer zitierte Papst Franziskus: «Wir müssen die Stadt von einer kontemplativen Sicht her, das heisst, mit einem Blick des Glaubens erkennen, der jenen Gott entdeckt, der in ihren Häusern, auf ihren Strassen und auf ihren Plätzen wohnt… Diese Präsenz muss nicht hergestellt, sondern entdeckt und enthüllt werden. Gott verbirgt sich nicht vor jenen, die ihn mit ehrlichem Herzen suchen, auch wenn sie das tastend, auf unsichere und weitschweifige Weise tun.»

Bilder Tagung: refbejuso