Die Besetzung der Zürcher Predigerkirche durch Sans Papiers vor Weihnachten 2008 machte bewusst, dass die Schweizer Reformierten während des Jahres wenig Schlagzeilen gemacht hatten. Die kreativsten Farbtupfer setzten die Basler Reformierten mit ihrer credo-Kampagne. Mehrere reformierte Kirchen beschäftigten sich intensiv mit ihren Strukturen.
Berichte
„Eine evangelische Kirche hat vom Evangelium auszugehen und zum Evangelium zurückzukehren.“ Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert schilderte dem LKF am 8. November 2008 die Kampagne credo 08, welche Volkskirche im urbanen Umfeld neu positioniert.
Gellert-Pfarrer Roger Rohner berichtete von seiner Gemeinde, wo „Menschen begeistert miteinander feiern und aneinander Anteil nehmen“. Mission sei ein „biblisches Muss auch für landeskirchliche Gemeinden“. Rohner zitierte Martin Luther: „Gottes Wort kann nicht ohne Gottes Volk sein.“ Am Nachmittag stellten sich neun Gemeinschaften, Diakonissen- und Gebetshäuser vor.
Wie entgehen reformierte Kirchen der Beliebigkeit – und andererseits der Versuchung, sich durch Abgrenzung zu definieren? Am 7. Juni 2008 thematisierte das LKF in Bern das Selbstverständnis der Reformierten und die Grundlagen, die der Genfer Reformator Jean Calvin dafür bereitstellte. Die Ökumene-Beauftragten der Zürcher und der Waadtländer Kirche, Peter Dettwiler und Martin Hoegger, blickten hinter die reformierten Fassaden.
Die Vielfalt der Kirchen mache dann Sinn, wenn sie ihre je eigenen Akzente im Blick auf die gemeinsame Berufung einsetzten, sagte Dettwiler. Calvin habe, so Hoegger, keine andere Kirche gründen, sondern der bestehenden das Hören auf das Wort Gottes, den Glauben und die herzliche Gemeinschaft der Urkirche zurückgeben wollen. Bei der Trennung, die aus der Ablehnung der Reformation durch Rom folgte, bewahrte er sich den Sinn für die Einheit der Kirche.
Im Juni wurde die neue Übersetzung der Zürcher Bibel vorgestellt. Die Deutschschweizer Freikirchen machten 2007 Schlagzeilen mit den Täufern, die im Zuge des Emmentaler Täuferjahrs porträtiert wurden. Auf Mennoniten und Neutäufer fielen freundliche Schlaglichter; manche Medien brachten die prägende Kraft ihres Glaubens zur Sprache.
Sind die Christen noch überzeugt, dass das Evangelium eine gute Nachricht ist? An der Tagung von 7. November 2007 in Zürich machte der Stuttgarter Kirchenleiter Ulrich Mack Mut, mit Evangelisation Kirche alltagsnah zu gestalten. Mack betonte, es liege „im Wesen der frohen Botschaft, dass sie hinausgerufen und laut verkündigt wird“. Jede Christin und jeder Christ solle über den Glauben nachdenken und Auskunft geben können. Denn neue Religiosität sei diffus: „Wie wird aus einem spirituellen Gefühl Glaube? Wie werden an einem Kultur-Event Interessierte Christen?“
Vier Dinge zeichnen laut Mack eine wachsende Kirche aus:sprachfähiger Glaube, einladende Gottesdienste, „Kinderstuben des Glaubens“, in denen Erwachsene das Leben mit Christus entdecken können, und Gemeinden mit klarem Profil. Zu ihrem missionarischen Auftrag beschloss das LKF eine Resolution.
„Am Anfang der Liturgie, die Menschen reformiert, sind Bettler des Geistes.“ An der Tagung am 9. Juni 2007 behandelte der Zürcher Theologe Prof. Ralph Kunz die Spannung zwischen Tradition und Pop, in die der reformierte Gottesdienst geraten ist. Kunz betonte in seinem Vortrag die Offenheit des reformierten Gottesdienstverständnisses. Für Reformierte „ist Tradition nie sakrosankt“; es gelte, Liturgien zu schaffen, die der Erneuerung des Menschen dienen. Zugleich sei nach reformiertem Stilbewusstsein angesichts von katholischen, orthodoxen und charismatischen Formen zu fragen. „Es geht um den Geist und nicht um den Buchstaben. Das Wort darf getanzt, getrommelt und gejauchzt werden im Gottesdienst. Und wir bleiben reformiert. Es darf auch georgelt, gesungen und im Kanzelton gepredigt werden.“ Drei Pfarrerinnen legten dar, wie sie Gottesdienste mit ihren Gemeindegliedern entwickeln.
In den nächsten Jahrzehnten werden sich die evangelischen Landeskirchen Deutschlands gründlich wandeln müssen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat durch einen Zukunftskongress in Wittenberg Ende Januar 2007 ihren Reformbemühungen Schub gegeben.
Vor lauter Auseinandersetzungen zwischen Kirchen und auch innerhalb der Kirchen wissen selbst die Christen nicht mehr, was Kirche eigentlich ist. An der Tagung "Licht-Blick Ökumene" Anfang Februar 2007 in Baar bei Zug versuchten Bischof Kurt Koch und der Vizepräsident des reformierten Weltbundes, Gottfried Locher, dem Wesen der Kirche auf die Spur zu kommen.
Wenn die Taufe ein Schatz ist, den Gott der Kirche geschenkt hat: wie gehen wir mit ihm um? Am Eingang zum Täuferjahr 2007 dachten Angehörige von Landes- und Freikirchen in Aarau miteinander über Taufverständnis und -praxis nach.
Wie verstehen sich die Schweizer Reformierten? Im Unterschied zu den Minderheitenkirchen in anderen Ländern haben sich die Schweizer über Jahrhunderte nicht erklären müssen: „Nun müssen wir lernen zu sagen, wer wir sind, was uns ausmacht, wofür wir einstehen“, sagte der Kirchenhistoriker Peter Opitz am 4. November 2006 an der LKF-Tagung in Zürich. Besser als durch Abgrenzung oder durch einen Bezug zur eigenen Geschichte wird Identität durch das Bekenntnis zu einer Sache gefördert. Grundsätzlich könne der Umgang mit der reformierten Tradition nicht anders als kritisch sein. Für Peter Opitz ist klar, dass „reformierte Identität immer mit dem Anfang anfangen und sich auf ganze elementare Dinge besinnen muss“.