Gottesdienst feiern
Warum bleibt der Grossteil der Reformierten landauf landab dem Gottesdienst in der Regel fern? Die Frage soll weh tun. Denn das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Orientierung besteht weiterhin.
Die TV-gestützte Eventgesellschaft sucht es mit ihrer Fülle zu befriedigen: mit ästhetischen Erlebnissen, begeisternden Spielen und Wettkämpfen, beeindruckenden Ratgebern und Seminaren. Der Religionssoziologe Jörg Stolz hat auf die säkularen Konkurrenten der Kirche hingewiesen, die erfolgreich je einen Teil dessen abdecken, was die Kirche anbietet.
Die Reformierten haben sich lange angepasst. Noch loben Landeskirchen die Autonomie des Einzelnen und die Vielfalt der Glaubensformen; über Klammern, die der Beliebigkeit wehren, wird erst schüchtern diskutiert. Vier grosse Kirchen bedienen ihre Mitglieder mit einer Zeitschrift, der das Reformiertsein ohne Gottesdienst der Normalfall ist.
Wie ist unter diesen Umständen die Schönheit und Attraktivität reformierten Gottesdienstes wieder zu entdecken? Wie feiern wir Gott den Schöpfer, Erlöser und Vollender und werden von ihm gestärkt und miteinander geformt?
Was im Zentrum des Kircheseins steht, ist nun im medialen Dauerregen der Multioptionsgesellschaft zu gestalten und zu offerieren, als ein Angebot unter vielen. Der TV-Star ist der populärere Verkündiger, sei seine Botschaft noch so platt. Erfahrungen zeigen, dass für Gottesdienste mit Strahlkraft weder alternative Predigtformen noch neue Lieder noch Anspiele oder Videos oder eine andere Anfangszeit genügen.
Wo ansetzen? Elemente anderer Traditionen sind uns heute willkommen; im Kern aber ist der Glaube der Reformatoren zu aktivieren, dass in der Predigt „Gottes Wort selbst verkündigt und von den Gläubigen vernommen werde“ (Heinrich Bullinger, 2. Helvetisches Bekenntnis). Wer predigt, ringt darum, dass der Heilige zu vernehmen ist – mit weniger sollten sich Reformierte nicht zufrieden geben und mutig die Wortauslegung im Zentrum des Gottesdienstes halten.
Die theologische Ausbildung ist wieder auf dieses Ziel auszurichten. Das Verlangen nach Erneuerung hat die EKD bewogen, ein Zentrum für Predigtkultur zu etablieren. Allerdings ist die Epoche des gelehrten Monologs vorbei. Elektronische Medien glänzen mit Interaktivität; dem Gottesdienst tun partizipative Elemente gut.
Verkündigung und Gemeinschaft verbinden sich im Abendmahl in höchster Dichte. Gott ist Mensch geworden, hat sich für uns gegeben. Die Gegenwart des Herrn inmitten der Glaubenden hebt den Gottesdienst von allen Events ab und bindet die Teilnehmenden einzigartig zusammen. Der Auferstandene, der durch Umkehr zum neuen Leben, zum Glauben und Handeln auf Gottes Reich hin ruft, stellt mich in sein Licht; Individuelles ist in der Gemeinschaft aufgehoben, wird seinem Willen ausgesetzt.
Dies gilt gerade für das Miteinander zunehmend verschiedener Menschen und Ethnien, auseinanderdriftender Geschlechter und Generationen. Niederschwellige Angebote machen Sinn – doch eigentlich christliche Gemeinschaft entspringt dem Gottesdienst und erhält sich in ihm.
Peter Schmid ist Redaktor des LKF. Der Text erschien als Editorial des LKF-Bulletins 1-2011.