«Eine Kirche des Wortes und des Wortes allein»

Gespeichert von peter.schmid am

Die Kirchenkunde von Gotthard Schmid, das Standardwerk über die Zürcher Landeskirche, war lange vergriffen. Der Enkel des Autors hat sie aktualisiert und bearbeitet – mitten in der Krise der Kirche. 

1954 erschien «Die Landeskirche des Kantons Zürich». Diese Kirchenkunde von Gotthard Schmid gab wie kein anderes Werk ein historisch vertieftes Gesamtbild der Zürcher Kirche und des Gemeindelebens, ihrer Lehre und Verfassung, auch des Umfelds. Das Werk des liberalen Theologen war lange vergriffen. Sein Enkel Konrad Schmid, Professor für Altes Testament an der Zürcher Theologischen Fakultät, hat es nun mit Hilfe von mehreren Dutzend Gewährsleuten aktualisiert und neu herausgegeben

Neubearbeitung 
An der Vernissage, die am 6. Dezember in der Kirche St. Peter in Zürich stattfand, erläuterte Konrad Schmid sein Vorgehen. Der Zweitautor hat das Werk des Grossvaters durchgehend überarbeitet, sprachlich modernisiert, das «wir» von 1954 entfernt, damalige Wertungen (etwa antikatholische) gestrichen oder ermässigt und vieles fürs heutige Empfinden umformuliert. 

Gotthard Schmid zeichnete den Weg der ersten reformierten Kirche und ihre Wandlungen über die Jahrhunderte nach und schilderte Gemeindeleben in Zürcher reformierter Prägung. 

Das von ihm gesammelte Material – Informationen aus mehreren Jahrhunderten – ist nun erneut greifbar, wofür seinem Enkel, dem TVZ und den Sponsoren zu danken ist. Allerdings hat die Geschlossenheit des ursprünglichen Werks gelitten. Das reformierte Milieu, das in den Fünfzigerjahren noch existierte, hat sich aufgelöst.

Wo die Landeskirche zugelegt hat
Und die Gewichte haben sich verschoben: Dies zeigt das neue Kapitel über den Apparat der Landeskirche, die Gesamtkirchlichen Dienste an, wo auch die Zürcher Streetchurch und das Pilgerzentrum im St. Jakob knapp porträtiert werden. Neu sind zudem die zehn Seiten über andere Religionsgemeinschaften im Kanton und das Forum der Religionen. 

Pietismus nicht mehr «gefährlich»
Wie sein Grossvater betrachtet Konrad Schmid die Landeskirche von der Zürcher City aus, wo er sich auch engagiert. Der Pietismus wird behandelt – als wichtige Strömung im 18. und 19. Jahrhundert. Gotthard Schmids Distanz zu ihr drückte sich in seiner Wertung aus, die pietistische Frömmigkeit sei «hin und wieder in eine gefährliche Gefühlsseligkeit um die eigene Seele» versunken. Und vor allem sei der Pietismus «je länger je mehr in eine gefährliche Gesetzlichkeit» verfallen. Konrad Schmid übernimmt den Text des Erstautors weitgehend, lässt das doppelte «gefährlich» weg und schliesst mit dem Satz: «Seither ist er in seiner herkömmlichen Form mehr und mehr in die neben der Kirche stehenden Gruppen und Gemeinschaften ausgewandert und in Form von Freikirchen heute sogar wieder sehr erfolgreich geworden.»

Für den Autor scheint nicht von Belang zu sein, dass reformierte Kirchgemeinden pietistisch-erwecklicher Prägung sich heute in ihrer Vitalität vom Durchschnitt positiv abheben und dass ein grösserer Anteil der (dringend erwünschten) Theologiestudenten aus diesen Gemeinden kommt. Die insgesamt sehr informative Kirchenkunde ist hier einseitig. Wer sich ein ausgewogenes Bild der Zürcher Kirchengeschichte verschaffen will, greife auch zum ebenfalls 2023 im TVZ erschienenen Buch «Frommes Zürich» von Armin Sierszyn. 

Reisst das Band? 
Konrad Schmid stellt schon im ersten Kapitel die Frage der Trennung von Kirche und Staat. Er erwähnt das soziale Engagement der Kirche; «zum anderen aber scheint die Verbundenheit der Zürcherinnen und Zürcher mit ihrer Kirche so gross, dass sie sie auch dann finanzieren möchten, wenn sie in ihr nicht oder nur selten aktiv mitwirken» (Seite 39). 

Ob dies wahr bleibt oder nur ein liberal-frommer Wunsch ist, wird sich zeigen. Der Anteil der Reformierten an der Kantonsbevölkerung liegt bereits unter einem Viertel und sinkt letzthin rascher. 

Die Gottesdienste werden weniger besucht, die kirchlichen Angebote insgesamt weniger genutzt. War 2023 das letzte Jahr, in dem die Kirchenkunde in dieser Form, mit dieser vom Kulturprotestantismus genährten Zuversicht, erscheinen konnte?

Mehr zum Buch, mit Textvergleich 1954-2023 

 

Gotthard Schmid, Konrad Schmid
Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich
Eine historische Kirchenkunde
2023, 496 Seiten, Hardcover 
ISBN 978-3-290-18553-4
CHF 48.00